Christine Büchl, Gesamtleitung
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Mich interessiert das Thema Migration seit vielen Jahrzehnten. Wie verändert sich die Identität der Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig ihr Heimatland verlassen haben? Was macht Migration mit der Aufnahmegesellschaft? Vielleicht ist die Arbeit mit geflüchteten Menschen auch in meiner DNA festgeschrieben. Denn schon mein Großvater nahm auf seinem Bauernhof sudentendeutsche Flüchtlinge auf und half ihnen dabei, ein neues Leben fern der Heimat aufzubauen.
Als 19-jährige Erzieherin betreute ich syrisch-orthodoxe Flüchtlinge aus der Türkei bei den Hausaufgaben. In meinen ersten Berufsjahren als Sozialpädagogin ging ich nach Lateinamerika und half Familien, die kriegsbedingt umsiedeln mussten, in schulischen Angelegenheiten. Daraus sind Freundschaften entstanden, die bis heute halten. In den 90-iger Jahren arbeitete ich in einer Schwangerenberatungsstelle in Augsburg. Hier betreute ich viele Frauen, die aus dem Balkan geflüchtet waren und ein Kind erwarteten.
Als ich 2015 in der Presse von den vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen las, die in Deutschland ankamen, wollte ich erneut aktiv werden. Zu diesem Zeitpunkt war ich u.a. im Fachdienst in einer Erziehungsstelle tätig und mir war sofort klar: Ich werde selbst eine offizielle Erziehungsstelle und möchte unbegleitet minderjährige AusländerInnen bei mir zu Hause aufnehmen.
Meine Familie legte glücklicherweise kein Veto ein, sondern sagte sogar ihre Unterstützung zu. Und seit dem Sommer 2015 leben nun ohne Unterbrechung immer ein bis zwei Jugendliche mit Migrationshintergrund bei uns. Sie sind sowohl voll integriert in unser Familienleben als gleichzeitig möglichst eigenständig unterwegs. Mein Ziel ist immer: Den Jugendlichen zu helfen, ein selbstständiges Leben in Deutschland führen zu können – beruflich und privat.
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Die jungen Geflüchteten machen sich in der Regel riesige Sorgen um ihre Familien im Herkunftsland. Ein Großteil meiner Arbeit ist es daher, ihnen psychologisch zur Seite zu stehen, damit sie die nagende Ungewissheit um ihre Familien aushalten lernen. Die Väter dort sind oft aus politischen Gründen verschleppt und gefoltert worden. Ihr Aufenthaltsort ist teilweise seit Jahren unbekannt. Die Mütter sind mit ihren kleineren Geschwister-Kindern untergetaucht.
Darüber hinaus sind alltägliche Dinge wie das Zubereiten einer Mahlzeit nicht selbstverständlich. In der Erziehungsstelle ist meine größte pädagogische Herausforderung tatsächlich das tägliche Kochen. Es funktioniert nur selten, dass gemeinsam gekocht wird. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen, die religiösen Hintergründe und die internationalen Geschmäcker. Wenn wir gar keinen Konsens finden, arbeiten wir mit zeitlichen Slots, d.h. wer kann wann die Küche besetzen. Anders können wir allen Vorlieben sonst kaum gerecht werden.
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Wenn ich sehe, wie „meine“ Jugendlichen in unserer westlichen Welt immer mehr ankommen, ohne ihre Herkunft zu verleugnen. Ich mag den Humor der Jugendlichen und ihre Lebenserfahrung. Wir lachen viel. Ich freue mich immer sehr, wenn sie das erste Mal Skifahren gehen oder auf Mountainbikes sitzen. Alles, was sie richtig im Flow sein und ihre Fluchterfahrung vergessen lässt ist Gold wert.
Ich genieße auch die Inspiration, die durch die verschiedenen Nationalitäten in mein Leben kommt. Da ich kulinarisch sehr interessiert bin, habe ich viele neue Gewürze und Gerichte kennen gelernt und bereit in mein eigenes Kochrepertoire integriert.